June 15, 2013
Jazz Fun
http://www.jazz-fun.de/goran-kajfes-subtropic-arkestra-the-reason-why-vol-1.html
Von der zweiten Hälfte der 1960er bis zur Mitte der 1970er Jahre herrschte im Grenzbereich zwischen Jazz und Rock eine ansteckende Aufbruchsstimmung. Man experimentierte mit neuen Stilverbindungen, erkundete neugierig so noch nicht gehörte Ausdrucksformen. Doch viele der Ausflüge in unerforschtes Terrain wurden damals nicht zu Ende geführt, so manche kühne Versuchsanordnung musste mangels finanzieller Mittel vorzeitig abgebrochen werden. Und wenn dann Pioniere wie Soft Machine, Caravan, Gong, Frank Zappa (zur Zeit von “Hot Rats”), Colosseum und Sun Ra doch einmal das Geld für anständige Studioproduktionen zusammenbekamen, blieben die Resultate zumeist in Insiderzirkeln hängen, weil sie nicht kommerziell genug waren, um die Unterstützung potenter Vertriebsfirmen zu erfahren. Der Markt duldet eben nur bis zu einem gewissen Grad das Austoben in Freiräumen …
Die Folge war, wie gesagt, das allzu frühe Versanden viel versprechender Ideen, die dann nach und nach in Vergessenheit gerieten. Goran Kajfeš greift den Faden jetzt allerdings wieder auf, er führt die Klangmodelle von damals zeitgemäß ins 21. Jahrhundert. In der Planungsphase zum jüngsten Album durchforstete der Schwede seine Plattensammlung, um am Ende des Sichtens acht Stücke auszuwählen, die er mit seinem Subtropic Arkestra bearbeiten wollte. Die handverlesenen Titel verknüpfen seine breit gefächerten Vorlieben miteinander und verweisen zugleich auf zentrale Einflüsse in seiner Künstlerbiographie.
Für “The Reason Why Vol. 1? hat Kajfeš fantastische Schätze ausgegraben, die wohl kaum ein Hörer von heute kennen wird. Hier gibt es zuhauf spannende Raritäten zu entdecken! So interpretiert der Trompeter mit seinem zehnköpfigen Ensemble etwa das psychedelische Rockstück “Yakar Inceden Inceden” von Edip Akbayram; der wird international zwar kaum wahrgenommen, in der Heimat genießt er mit über zwanzig Albumeinspielungen und 250 Auszeichnungen jedoch Superstar-Status. Der 2010 verstorbene Schwede Bo Hansson ist in unseren Breitengraden, abgesehen von einem Achtungserfolg mit der Rock-Vertonung von “Der Herr der Ringe” (1970), ebenfalls ein unbeschriebenes Blatt. Von ihm hat Kajfeš den wundervollen Track “Storstad” in sein Repertoire aufgenommen. “Karina” stammt vom brasilianischen Tropicália-Vertreter Arthur Verocai; der Mann aus Rio de Janeiro arbeitete in den 1970ern kurzzeitig mit Elis Regina und Ivan Lins zusammen, blieb ansonsten jedoch weitgehend unbeachtet. Dasselbe lässt sich von Celestine Ukwu sagen. Der 1977 bei einem Autounfall verstorbene Nigerianer erschuf mit den Philosophers National einen auf der Igbo-Folklore seines Landes basierenden Afrorock. Von ihm hat Kajfeš das Prachtexemplar “Okwukwe Na Nchekwube” wiederentdeckt.
Wesentlich bekannter als die Vorgenannten ist die aus der “Canterbury Scene” (Caravan, Gong, Matching Mole, National Health) hervorgegangene Formation Soft Machine. Deren Komposition “The Nodder” wird auf dem vorliegenden Album in einen sphärischen Spacejazz zum Abheben transformiert. “Es war einmal” von den deutschen Elektronik-Vorreitern Cluster zuguterletzt erklingt in einer beschaulichen Jazzversion mit Moog Synthesizer und reichlich Bläsern: eine ganz zauberhafte Umdeutung!
Für “The Reason Why Vol. 1? hat Goran Kajfeš versierte Instrumentalisten um sich geschart, mit ihnen spielt er einen fesselnden “Acidrock mit Bläsern” (The Washington Post). Auf der Besetzungsliste stehen unter anderem die Saxophonisten/Flötisten Jonas Kullhammar (Nacka Forum) und Per “Ruskträsk” Johansson (Nils Landgren, Mando Diao, Blacknuss Allstars), Posaunist Mats Äleklint (Carla Bley, Martha Reeves), Gitarrist Andreas Söderström (Ass, El Rojo Adios), Bassist Johan Berthling (Fire!, Tape) sowie die beiden Schlagzeuger Lars Skoglund (Lykke Li, Shout Out Louds) und Andreas Werliin (Wildbirds & Peacedrums, Tonbruket). Was für ein Topteam!
Goran Kajfeš ist 1970 in Stockholm geboren, seine kroatischen Eltern waren damals bereits aus der Heimat übergesiedelt. Ende der 1960er Jahre tourte Vater Davor Kajfeš als Pianist des Zagreb Jazz Quartetts europaweit, und weil es ihm im liberalen Schweden besonders gut gefiel, beschloss er, sich mit seiner Familie dort niederzulassen. Womit auch geklärt wäre, von wem Goran seine Musikbegabung geerbt hat. Schon früh begann der Sprössling mit dem Trompetenspiel, das er in den 1990er Jahren am Konservatorium in Kopenhagen weiter ausbildete. Anschließend begab er sich in Stockholms Szene auf die Suche nach musikalischen Abenteuern weitab vom akademischen Bildungsweg. Schnell machte er sich nicht nur als Jazzer sondern auch im Rahmen von House- und Drum’n'Bass-Einspielungen einen Namen. Popmusikern gegenüber kennt Kajfeš ebenfalls keine Berührungsängste. Er gastierte auf Eagle-Eye Cherrys Debütalbum, war Mitglied der Blacknuss Allstars und trat mit José Gonzales, Stina Nordenstam, Lisa Ekdahl, The Soundtrack Of Our Lives und Mando Diao live auf.
Im Millenniumsjahr 2000 veröffentlichte der Trompeter sein Solodebüt “Home”, 2005 folgte mit “Headspin” ein nicht minder überzeugendes Zweitwerk, das sogar den schwedischen Grammy einheimste. Mit Anfang vierzig legte Kajfeš dann 2010 seine ambitionierte dritte Arbeit “X/Y” vor. Die erschien in einem edel aufgemachten Buch im Hochformat und enthielt neben zwei CDs diverse Werke der Bildenden Kunst. Skandinavische Künstler wie Ulf Rollof, Moki Cherry und Bigert & Bergström gestatteten dafür die Reproduktion einiger Exponate. MOJO und The Independent vergaben für “X/Y” Höchstnoten, Rob Young von The Wire sah das beste Album des Jahres darin. Völlig zu Recht wurde Kajfeš denn auch der Nordic Music Prize dafür verliehen, was umso bedeutender ist, da der unermüdliche Innovator bei der Wahl sogar Björk und Lykke Li auf die Plätze verwies.
Neben der Laufbahn als Solist findet Kajfeš auch immer wieder Zeit für Nebentätigkeiten. So produzierte er das Oddjob-Album “Clint” (von der Sunday Times zum Jazzalbum des Jahres 2010 gekürt), schrieb die Musik für die Eröffnungszeremonie von Stockholms Museum der Modernen Künste und komponierte Film-Soundtracks. Trotz solcher Abstecher bleibt der “Tausendsassa der skandinavischen Musikszene” (Arte) in erster Linie Trompeter, und als solcher ist er stets auf der Suche nach reizvollen Herausforderungen. Wie das aktuelle Instrumentalalbum zeigt, hat er die einmal mehr gefunden. Mit viel Mut zum Risiko geht er auf “The Reason Why Vol. 1? Wege, die noch nicht von unzähligen Kollegen ausgetrampelt wurden. Übrigens: Da im Albumtitel ja von “Vol. 1? die Rede ist, dürfen wir uns wohl auf eine Fortsetzung mit ähnlichem Konzept freuen. Nehmen wir das mal als Fingerzeig und hoffen also, dass die Zählung schon bald mit “Vol. 2? fortgesetzt wird!